KI und Kreativität: Ein Widerspruch im Learning Design?
- Chantal Licht

- 22. Sept.
- 5 Min. Lesezeit

Künstliche Intelligenz (KI) schreibt längst Gedichte, malt Bilder, komponiert Musikstücke und entwirft Lernmodule.
Wir staunen und denken: Wow, wie kreativ! Und schnell kratzt es an der eigenen Wahrnehmung und fühlen uns nicht mehr so kreativ.
Es ist klar, dass in Zeiten von KI und mit den einhergehenden Prognosen sich die Rollen in den unterschiedlichsten Arbeitskontexten verschieben werden. So ist zum Beispiel auch klar, dass sich Learning Design von der Kreativität verabschieden und mehr Qualitätssicherung als Aufgabenbereich abdecken wird. Denn schließlich wird die KI von Konzeptionierung bis bin zur Content Creation eine Menge übernehmen, nicht wahr? Oder verwechseln wir Geschwindigkeit und Mustererkennung mit echter Kreativität und Schöpferkraft?
Was ist Kreativität?
Viele halten Kreativität für ein Geschenk, das einigen wenigen vorbehalten ist: Künstler:innen, Genies, Ausnahmefiguren. Spoiler: Das ist ein Irrtum. Kreativität steckt in uns allen.
Das Wort „Kreativität“ leitet sich vom lateinischen creare ab: schöpfen, erzeugen, herstellen. Man könnte meinen, die lateinische Erklärung des Wortes würde ausreichen und es wäre hiermit alles gesagt. So einfach ist es nicht. In Wahrheit ist Kreativität schwer zu definieren. Forschung und Praxis sind sich bis heute nicht einig. Aber es gibt einen gemeinsamen Nenner, die alle Ansätze in sich tragen:
Kreativität ist die Fähigkeit, ein Erzeugnis zu erschaffen, das sowohl neuartig als auch nützlich ist. |
Und genau hier zeigt sich die Schwierigkeit. Denn was bedeutet "Neues"? Was "erschaffen"? Was ist "nützlich"? Oft ist dieses „Neue“ nicht radikal neu, sondern eine kluge Weiterentwicklung. Viele Innovationen entstehen durch Rekombination – additiv (etwas hinzufügen, wie z.B. ein LED-Toilettenpapierhalter) oder subtraktiv (etwas weglassen, wie ein dreirädriges Auto). Echte Innovation kommt sehr selten vor. Viel häufiger handelt es sich um Weiterentwicklungen oder Imitationen. Ob etwas "nützlich" ist, entspringt oft aus aktuellen Trends und ist mitunter sehr individuell. Denn das kreative Produkt erfüllt ein Bedürfnis der Einzelperson und liegt immer im Auge des Betrachters.
Auf einer allgemeineren Ebene kann man Kreativität als die Fähigkeit bezeichnen, auf neue unvorhersehbare Art mit Herausforderungen umzugehen. Es braucht also eine Voraussetzung im lösungsorientierten Denken, eine Anpassungsfähigkeit des eigenen Verhaltens und Offenheit für Veränderungen. Um lösungsorientiert zu agieren, braucht es ein Problem und die Fähigkeit es zu erkennen. Es gibt hierzu den allgemeinen Mythos, dass beispielsweise Erfindungen durch einen Geistesblitz hervorgebracht werden. Doch bevor dieser Geistesblitz kommt, ziehen vorher viele Gedankengänge ins Land. Ein Prozess, dem man sich hingibt bis es einschlägt.
Evolutionär betrachtet ist Kreativität sehr sinnvoll. Denn das Ausprobieren neuer Lösungen sichert mitunter das Überleben. Ein Lebewesen, das auf Unvorhersehbares variabel reagieren kann, passt sich schneller an neue Umgebungen an. Kreativität ist also tief in uns verankert.
Kreativität hat viele Gesichter:
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Wir bekommen es leider von Kind an abtrainiert kreativ zu sein. Denn es gilt gemäß dem vorherrschenden Schulsystem alles "richtig" machen zu müssen, statt Fehler zu erlauben oder anders zu denken. Somit entwickeln wir im Erwachsenenalter den Glaubenssatz wir seien nicht kreativ. Und jetzt kommt auf einmal eine Maschine um die Ecke, die vermeintlich viel kreativer scheint als wir.
Warum Künstliche Intelligenz so kreativ wirkt
Eine der Hauptaufgaben der KI ist es, bestehende Daten zu kombinieren. Das, was unser Gehirn also auch tut - nämlich aus Alt mach Neu - macht die KI in Sekunden. Deshalb wirkt KI wie eine vertraute Ideenschmiede.
Hinzu kommt: Kreatives Arbeiten macht nicht immer Spaß. Es kann mühsam, frustrierend, ja anstrengend sein. Wir alle kennen es. Es gibt eine Deadline, Stress, andere ToDos, private Probleme, die uns daran hindern dann kreativ zu sein, wenn wir es brauchen. Erzwingen kann man Kreativität also auch nicht.
KI liefert einfach, schnell und bequem Ergebnisse. Dadurch wirkt diese Maschine oft kreativer als wir, weil wir uns zu selten die benötigte Zeit und den Rahmen für eigene Ideen geben (können). Die Gefahr: Wir geben unser Denken ab und rutschen in eine KI-Lethargie. |
Was Künstliche Intelligenz nicht kann
KI ist ein Meister der Muster. Sie ordnet, kombiniert und liefert Varianten. Eine echte Hilfe im Arbeitsalltag. Projektmanagement, didaktische Konzepte, Content Creation: all das kann sie beschleunigen. Aber es gibt Vieles, was die KI nicht kann (und uns ausmacht):
Schöpferkraft: KI kombiniert; wir können bewusst Muster durchbrechen und überraschen.
Kontext: KI kennt Daten; wir spüren Zwischentöne, Kultur und Dynamik.
Emotionale Intelligenz: KI simuliert Gefühle (kognitive Empathie); wir fühlen sie und reagieren.
Ethik und Werte: KI hat keine Haltung; wir entscheiden verantwortungsvoll und beziehen uns auf unsere Werte.
Mut und Risiko: KI optimiert mit den Daten, die ihr zugrunde liegen; wir können Sprünge ins Unbekannte wagen.
Sinn geben: KI liefert Output; wir erzählen die Geschichte dahinter.
Intuition: KI rechnet; wir spüren.
Tempo und Vielfalt beeindrucken, aber von uns kommt Sinn, Haltung, Mut und Gefühl. Wir dürfen nicht vergessen, dass die KI (Stand heute) mit dem arbeitet, mit der sie gefüttert wird. All die Daten stammen von Menschen. Also der Schöpferkraft durch uns, die nun recycelt werden.
Die KI ist ein Tool und kann uns in unserer eigenen Schöpferkraft wunderbar unterstützen. Es geht also eher darum, wie man die eigene Kreativität mit den Stärken der KI kombiniert. |
Mensch und KI: Kreativität im Zusammenspiel
Mensch und KI sind kein Entweder-oder. Beide Elemente lassen sich sehr gut miteinander vereinen:
KI ist schnell und entlastet.
Menschen bringen Schöpferkraft, Kontext und Gefühl.
Wir sprechen immer davon, dass wir KI als Sparringspartner nutzen. Die KI, die uns Impulse gibt, hilft und unterstützt, sowie Aufgaben übernimmt. Aber lassen wir doch mal den Gedanken zu, dass wir der Sparringspartner für die KI sind. Nämlich für Originalität, Intuition und dem Menschsein. Wenn wir unsere Kreativität bewusst trainieren, entsteht eine produktive Partnerschaft. So entstehen Lösungen, die effizient und einzigartig sind.
Das heißt für uns, dass wir uns nicht von der KI-Lethargie einnehmen lasse sollten. Unsere Haltung und unser bestreben in der Zusammenarbeit mit KI ist ein wichtiger Anker für unsere Arbeit. Also warum nicht die ersten Ideen der KI nutzen, um darauf kreativ aufzubauen?
Inspiration statt Ersatz: Ideen sammeln, aber nicht blind übernehmen.
Bewusst brechen: Durchschnittsideen der KI aufgreifen und neu verdrehen.
Zeit geben: Pausen und Reflexion sind Teil des Prozesses.
Co-Creation: KI-Vorschläge im Team weiterdenken. Reibung bringt Funken.
Oder andersherum die KI mit den eigenen kreativen Ideen füttern und die KI beim Weiterentwicklungsprozess einbinden?
Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir in Zeiten von KI unsere Kreativität aufrecht erhalten können. Wichtig ist nur einerseits mit dem Irrglauben aufzuräumen, dass man entweder kreativ geboren wurde oder nicht und andererseits die KI kreativer ist als man selbst. Also nein, KI und Kreativität stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern können sich wunderbar ergänzen, wenn man ein paar Faktoren beachtet. Nämlich sich selbst aus der KI-Lethargie immer wieder befreien und die eigene Kreativität wie einen Muskel zu trainieren. In Teil 2 dieser Blog-Serie zeige ich übrigens auf, wie wir unsere Kreativität als Learning Designer:in aktiv einbinden können. Also folge uns gerne auf LinkedIn und verpasse keinen Blogbeitrag mehr.
Wie es weitergeht
Dieser Artikel ist Teil 1 einer Serie über Kreativität im Zeitalter der KI.
Teil 2: Kreativität im Learning Design. Wie Dramaturgie, Storytelling und kluge Methoden aus Content echtes Lernen machen.
Teil 3: Kreativität als Future Skill. Wie Lernende Kreativität üben können und welche Räume Learning Design dafür öffnet.



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